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Damals

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                                                von Johanna Krychl (geb Koch, Kronstadt), geb. 24. Okt 1928

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Ich beginne ca. ab dem Jahr 1934 zu erzählen als ich 6 Jahre alt war. Damit begonnen habe ich im Herbst 2010.

Wir waren drei Geschwister. Ich war das Jüngste. Meine beiden Geschwister hießen Richard (war geboren am 3. Mai 1925) und Beatrix (sie war 10. Juli 1926 geboren). Meine Kinderjahre im Elternhaus in Kronstadt blieben die schönsten und es gab in meinem ganzen späteren Leben nichts Vergleichbares.

Die Familie lebte in Pilsen und übersiedelte 1927 nach Kronstadt, wo mein Vater (er war Sudetendeutscher und gebürtig aus diesem Ort), ein Haus mit Grundstück kaufte. Meine Mutter stammte aus Oberlaa bei Wien.

Vater war Militäroffizier und Hofbeamter. Deshalb hatte er bereits nach 25 Jahren Anspruch auf Abfertigung gehabt. Mama bekam von ihrem Bruder Michael 400 Goldkronen als Erbteil für das elterliche Gasthaus ausbezahlt und konnte somit auch ihren Teil zum Kauf des Hauses beitragen. Der Vorbesitzer wollte ein Gasthaus einrichten, hatte aber zu hohe Schulden und so hatte mein Vater die Gelegenheit genutzt und dieses Haus übernommen. Er eröffnete stattdessen einen Gemischtwarenhandel mit Farb-, Tabak- und Papierwaren sowie Schulsachen. Leicht war dieser Neubeginn für ihn bestimmt nicht!

In diesem Haus wurde ich dann 1928 geboren. Bis dahin war mein Bruder Richard mit seiner kleinen, ruhigen und braven Schwester alleine gewesen. Plötzlich war da ein schreiendes Bündel, ein Baby. Das gefiel dem großen Bruder gar nicht und er sagte kurzerhand zu Mama: „Bringen wir es wieder weg." Nur ein paar Tage alt trug man mich zur Taufe. Zu Richard sagten sie, sie brächten mich, die Hanna, wieder fort. Da stutzte er und meinte nach einer Weile: „Nein, lasst sie doch da!" Mama hat mir das später noch oft erzählt.

Als wir größer waren, zeigte sich oft, wie „brauchbar" eine jüngere Schwester sein konnte, weil wir uns viele Streiche gemeinsam ausdachten und viel Spaß am Leben hatten. Wir wuchsen glücklich, zufrieden und gut behütet auf; waren doch Vater und Mutter immer im Haus anwesend. Mama sagte immer, auch in ihrem Leben war diese Zeit die schönste als wir Kinder klein waren. Aber Kinder wachsen heran und ich kann mich an viel Schönes, aber auch Betrübliches erinnern, möchte diese Kinderjahre aber trotzdem nicht missen und es gibt viel zu erzählen.

Dieses Familienidyll hatte jedoch auch einen kleinen Schönheitsfehler. Vater war ein verheirateter Mann. Seine Ehefrau, eine Polin, willigte nicht in die Scheidung ein und wollte auch von ihrem Wohnort nicht weg. Also hatte er für eine fünfköpfige Familie UND für seine angetraute Frau zu sorgen, was finanziell sicher nicht leicht gewesen sein dürfte, denn Kinderbeihilfe gab es damals nicht. Aber es war trotzdem schön für die Eltern und uns 3 uneheliche Kinder. Zu dieser Zeit war alles friedlich in der Tschechoslowakei, wie sie damals hieß. Deutsche und Tschechen lebten unter Präsident Masaryk ohne Komplikationen miteinander. Später sollte es leider noch anders kommen.

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An unser Haus kann ich mich noch gut erinnern. Dort zu leben war das Schönste, das ich je hatte. Im Sommer, wenn wir Kinder zum Spielen hinaus konnten, wenn die Sonne schien, die Blumen blühten, gab es für uns nichts wichtigeres als den Garten rund ums Haus. Hinter dem Haus war ein Brunnen. Dort konnten wir trinken, wenn wir vom Herumtollen durstig waren und Mutter holte das Wasser zum Kochen. Auch war da noch der Mühlbach. Da gab es Forellen. Sie glänzten und glitzerten in der Sommersonne und wir verhielten uns ganz ruhig, damit wir sie auch gut beobachten konnten. Auch Mama liebte ihren Garten. Konnte sie doch jedes Frühjahr die Beete mit Samenkörnern versorgen die Vater im Geschäft hatte, und zusehen wie alles gedieh. Im Herbst gab es viel eigenes Gemüse und wir Kinder halfen gerne beim Ernten. Wir kamen den ganzen Winter über die Runden, denn in Mamas Küche wurde alles verwendet, nichts weggeworfen. Das alles habe ich in guter Erinnerung und es macht mich immer wieder sehr, sehr glücklich.

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Im Haus war der obere Stock nicht fertig ausgebaut. Es sollte auch niemals dazu kommen, aber davon später. Im Erdgeschoß gab es eine Wohnküche und ein Schlafzimmer. Vater hatte das Geschäftslokal und ein großes Zimmer, in dem er auch schlief. Er sagte, er sei es von seinem Soldatenleben gewohnt allein zu schlafen und er wollte auch ungestört sein.

In den oberen Stock führte eine schöne, breite, aus hellem Holz gezimmerte Treppe. Wir nannten diesen Bereich nur den „Boden". Er diente als Abstellraum für alte Möbel, Reisekörbe und -koffer aller Art und Truhen, in denen unsere Winterbekleidung aufbewahrt wurde. Regale dienten als Ablage für viele Dinge, weil unten in der Wohnung wenig Platz war. So war es für Mama praktisch und leichter, Ordnung zu halten. In den Regalen befanden sich auch große alte Bücher, die etwas Besonderes sein mussten, weil wir Kinder sie nicht nehmen durften. Man war der Meinung, das sei nichts für Kinder. Es gab auch viele alte Sachen aus früheren Zeiten über die wir immer wieder staunten. Erklärt wurde uns nichts. Deshalb konnten wir auch nicht alles verstehen, was wir da oben sahen.

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Vater hatte viele schönen Uniformen, Kopfbedeckungen und Säbel aus seiner Militärzeit während der Monarchie auf die er sehr stolz, aber auch sehr heikel war. Deshalb hatte er für diese Kleidungsstücke und Gegenstände eine eigene Garderobe gezimmert. Daneben war ein Spiegel mit Etagere auf dem Andenken standen, die wir zwar ansehen durften, aber es war nicht erlaubt, die Sachen vom Boden hinunter ins Haus zu nehmen. Wir vertrieben uns gerne die Zeit im Obergeschoß, wenn draußen schlechtes Wetter war und spielen im Garten unmöglich war.

Zwei Hobelbänke mit dazugehörigem Werkzeug waren auch vorhanden. Sie stammten aus dem Nachlass von Großvater Franz Köhler, der Tischler war und eine eigene Werkstätte hatte. Vater hatte von ihm viel Handwerkliches gelernt. Wenn er oben hämmerte und sägte, jagte ich die Treppe hinauf, weil mich das sehr interessierte und ich nichts versäumen wollte von dem, was er wieder einmal herstellte. Ich durfte sogar Handlanger sein, was mich sehr stolz machte. Ich war auch mit dem Werkzeug vertraut, konnte ein wenig nützlich sein und schaute mir dabei einiges ab, was mir im späteren Leben sehr nützlich war.

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Wir Kinder durften alles benützen und ausprobieren. Richard konnte dabei beweisen, dass er auch ein geschickter Bastler war. Wir konnten uns da oben nur in der warmen Jahreszeit aufhalten. Im Winter war es bitterkalt, weil es keine Heizung gab. Das Dach bestand aus Brettern und war mit Dachpappe gedeckt. Bei Schlechtwetter kam es oft vor, dass das es undicht wurde und wieder einmal Ausbesserungsarbeiten notwendig wurden.

Zum unteren Bereich gehörten auch ein Holzschuppen, ein Ziegenstall und Kaninchenställe, die alle von Vater gezimmert worden waren. Die Hühner wohnten ganz oben und konnten ihre Unterkunft nur auf einer Leiter entlang der Hausmauer erreichen. Es war lustig anzusehen, wie ein Huhn nach dem anderen hinauflief. Der Hahn war als letzter dran. Sobald das Gefieder komplett in der Behausung war, hatten wir Kinder darauf zu achten, dass die Klappe geschlossen war, um so die Tiere vor Dieben, wie Marder oder Fuchs zu schützen. In der Früh war es der Vater, der die Klappe öffnete, weil er als Frühaufsteher als Erster in Haus und Garten unterwegs war, und den Hahn, der schon zeitig krähte, mit seinen Hennen ins Freie ließ. Die Hühner legten im Sommer fleißig Eier, von denen Mama immer einige in einen großen Tontopf, der mit Kalkwasser gefüllt war und im kühlen im Keller stand, einlegte, damit wir einen Vorrat für den Winter hatten. Alles war eingeteilt, nichts wurde verschwendet.

Im Stall hatten wir eine Ziege, die uns alle mit Milch versorgte. Sie brachte auch jedes Jahr Zicklein zu Welt, was allerliebst war. Mit ihnen mussten wir dann für einige Zeit die Milch teilen. Kaum 2 Wochen alt, verließen sie uns jedoch schon wieder in Richtung anderer Bauernhöfe im Tausch gegen Dinge, die wir selbst nicht hatten, wie zum Beispiel Kartoffel oder Butter.

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