Die Stepke's
im Lauf der letzten 400 Jahre
Das Leben im Adlergebirge (Kronstadt) im Jahresverlauf
von Friedrich Zwerschke (02.04.1931 – 18.07.2019)
Im Frühling
Sobald es taute, wurden -fast symbolisch - die „Bahnstecken" entlang des Weges zum Dorfe aus der Erde gezogen, die uns, wenn alles nebelig und tief verschneit war, den Weg wiesen und uns davor bewahrten, in den Bach nebenan einzubrechen. Wir fuhren sie auf der „Radwer" (Schubkarre) hinter‘s Haus und lagerten sie dort trocken bis zum nächsten Herbst, wenn sie weder gebraucht wurden.
Wenn es dann allmählich etwas wärmer wurde, brachten wir die Doppelfenster (7 Stück) auf den Boden. Auch sie hatten jetzt eine „Aus-Zeit", sicher eingepackt in alte Strohsäcke.
Nachts fror es gelegentlich noch, roch aber früh, wenn die Sonne über dem Habeltschwerdter Kamm heraufstieg, schon irgendwie nach Frühling.
Die Oma Theresia verabredete sich beizeiten mit der Hegerin, Johanna Scheitz, für den gemeinsamen Gang zum Josefs - Jahrmarkt nach Rokitnitz (19.März). Gekauft wurde wenig, aber man hatte "was gesehen" und war einen ganzen Tag unterwegs, 17 km hin und ebenso viele wieder zurück.
Sobald es ging wurden die Kleebrachen und Wiese abgeeggt, damit das junge Grün besser sprießen konnte. Auch die Holzasche wurde ausgebracht, reichte dennoch nicht für alles aus.
Schlimm wurde es, wenn die Schneeschmelze gar zu plötzlich, manchmal über Nacht mit Regen verbunden einsetzte. Da lud der Bach, der hinterm Hegerhause in einiger Entfernung auch an unserem Haus und an Frau Lukuvkovas Häuschen vorbei der Erlitz zufloß, sehr oft Steine und Sand besonders in der Wasel - Wiese ab, das ist ungefähr dort, wo man heutzutage von der Stiebnitzer Straße links abbiegt und über die Wiesen der Nr.122 zufährt. Die Beseitigung dieses unwillkommenen „Naturgeschenks" nahm manchmal eine ganze Woche in Anspruch. Fast schlimmer noch war es, wenn in dem kleinen Keller das Wasser Kartoffel, Rüben und Einweckgläser schwimmen ließ. Nur mit Hilfe einer Kugelpumpe, wie sie einige Bauern für Jauche besaßen, konnte dem nach stärkeren Anstieg bis zum Backofeneinschub entgegengewirkt werden.
Ließ das Wetter dann Äcker und Wiesen abtrocknen, so ging es an die unaufschiebbaren weiteren Arbeiten.
Das Haus, also die Flächen mit den verputzten Holzbalken beiderseits der Haustür wurde geweißt- und leuchtete dann über die grünenden Wiesen ins Dorf hinein. Auch die drei kleinen Stuben bekamen einen neuen weißen Kalk - Innenanstrich. Ohne das verhasste Schachtelzeug und mit frisch gewaschenen Scheiben- und Obergardienchen fühlte man sich wie in einem neuen Zuhause.
Bald ging es daran, die im Herbst umgepflügten Feldstücke „mit dem Reißer" (sprich Kultivator) zu lockern, auch zu eggen. Sobald kein Frost mehr zu erwarten war, wurde auf den frisch geeggten Feldern Hafer, etwas Gerste und Sommerroggen, später auch ein bisschen Weizen ausgesät. Mein Vater ließ sich ein altes Bettlaken („Strottich“ = Strohtuch das über den Strohsack gebreitet wurde) geben, das an zwei Enden über der linken Schulter zusammengebunden wurde. Mit der linken Hand fasste er die beiden anderen Enden, und in dem so entstandenen Beutel wurde aus einem Sack das Saatgetreide geschüttet, das er nun, weit und langsam ausschreitend, mal mehr links, dann mehr rechts in weitem Wurf ausstreute. Ich musste einen Schritt rechtsseitig hinter ihm gehen und mit der Schuhspitze dort, wo die letzten Körner lagen, einen möglichst geraden Strich ziehen. Dieser war das Zeichen, wo der nächste Gang über den Acker zu erfolgen hatte. War das Aussäen beendet, wurde die Saat leicht eingeeggt. Damit Vögel sie nicht auspickten und man zur Erntezeit möglichst steinlos mähen konnte, kam zu guter Letzt noch das Walzen mit einer ca 2m breiten hölzernen Walze dran. Damit sie gut drückte, durften Tata, ich und noch etliche schwere Steine auf dem Feld hin und herfahren, wobei die Kühe mittels zweier Leinen von der Walze aus gelenkt wurden. Ruckten sie zu plötzlich an, wurde schon mal ein „junges Gewicht“ vorübergehend verloren.
E i n schmales Feld blieb vorerst noch liegen. Auf dieses wurde gehörig Mist gefahren und von Mama und Großmutter „gebreitet", das heißt, regelmäßig auf der Fläche verteilt.
Die „frisch gewaschenen" Kartoffeln aus dem Keller, die schon etliche Tage in flachen Kisten in die Sonne gestellt worden waren, um sie etwas vorzukeimen, wurden an den Feldrain gebracht. Mit dein Einscharpflug (eigentlich ein Wendepflug), mit dessen Vorwägelchen sich die Tiefe der Furch regulieren ließ, wurde möglichst mit nur einem Zugtier der Mist untergepflügt, und in die Furche, ca 10 – 12 cm tief, legten die Frauen die Saatkartoffeln, die, wenn es sehr große waren, auch halbiert werden durften, um nur ja damit auszureichen. Mit der nächsten Furche die gezogen wurde, erfolgte die Bedeckung der bereits ausgelegten Saatkartoffeln. So ging es, bis das Feld voll war. Wenn nach ein paar Wochen sich erste Kartoffel-Blattspitzen zeigten, wurde angehäufelt, und man sah nun schon die künftigen Reihen. Hatte es mal gegossen, wurde ein zweites Mal angehäufelt.
Unbebaut lag noch der sogen. "Krautacker" links vom Haus (von vorn gesehen). Es wurde dafür Rübensamen gekauft, dieser wenigsten einen Tag eingeweicht und unterdessen der Acker gedüngt, der Dung untergepflügt und das Stück geeggt. Dann wurden die fast erbsgroßen Körner in Reihen ausgesät, nach ein paar Wochen vereinzelt, sodaß die übrigen Pflänzlein über den ganzen Äcker verteilt eingesteckt werden konnten, bis dieser voll war.
Ein ganz schmaler Streifen blieb für Weißkohl, gelbweiße Kohlrüben, etwas Kopfsalat u.a. (Deshalb wohl „,Krautacker" genannt).
Zu allerletzt wurde auf einem nur ca. 2 m breiten Streifen Flachs ausgesät, der ja für die Herstellung von Leinwand nötig war.
Vom Herbst her wuchs noch der Winterroggen mit einer Klee-Untersaat, denn diese sollte als Brache nach der Roggenernte Futter fürs Vieh liefern und der Erde etwas Ruhe bringen. Die Brache konnte auch abgeweidet werden, wenn daneben dann die Kartoffelfeuerchen im Herbst angezündet wurden.
Mit Kunstdünger, der ja damals für unsre Verhältnisse recht teuer war, ging man sehr sparsam um, streute ihn aber doch zuweilen aus.
Um den Segen des Himmels auf das Werk der Frühjahrsbestellung herabzurufen, schnitzte der Großvater aus Holz, das kurz ins geweihte Osterfeuer gelegt worden war, kleine Kreuzchen, die spätestens bis zum Dreifaltigkeitssonntag in den Boden der Felder gesteckt wurden. An den Bitt-Tagen vor Himmelfahrt ging man auch wieder hinaus und betete um eine gute Ernte, denn schließlich waren wir ja in sehr starkem Maße von der Güte Gottes abhängig, uns etwas wachsen zu lassen, damit es wieder für uns und unser Vieh reichte.
Am schönsten war es zu sehen, wenn die kaum sichtbaren Spitzen der jungen Saat aus der dunklen Erde kamen.
Gelegentlich mussten auch noch Steine abgesammelt und allzu stark wucherndes Unkraut aus der noch nicht hohen Saat gestochen werden. So sah man an den Rainen meist »Steinrücken", auf denen dann im Sommer Walderdbeeren wuchsen, sich aber auch Kreuzottern sonnten.
Die Zeit bis zum Beginn der Heuernte wurde ebenfalls für notwendige Arbeiten genutzt. Man ging „auf die Kultur«, also junge Fichten pflanzen, die Arbeit des Holzfällens in den gräflichen Waldungen begann, man machte sich „Aushacksel“ und auch Brennholz, das heimgefahren, mit der Bügelsäge auf dem Holzbock gesägt, gespalten und als Kegel aufgesetzt wurde. Bereits trockenes Holz wurde in den Holzschuppen getragen - hinter der Schweinsbaude - um es im Winter unter Dach zum Feuern nahe zu haben. Kohlen gab es nicht.
Da die Kühe nicht auf eine Weide getrieben werden konnten, begann man früh damit, ihnen Lattiche, Schierlich und anderes saftiges Gewächs zu mähen und zu holen, alle Tage, auch am Sonntag, und mit erhöhter Milchleistung dankten sie es spürbar.
Im April etwa machte es sich auch bezahlt, dass man die 2 Ziegen, weil sie zum Laufen unwillig gewesen, auf der Radwer zum Bock gefahren hatte. Nun hüpften manchmal zwei oder drei Zicklein unter dem Kochofen herum, weil sie ja noch nicht angebunden werden konnten und die Kühe diese Art Nachkommen nicht so gern unter oder um sich sahen, besonders, wenn sie so wild umhersprangen und die Milchkühe so erschreckten. In der Stube war dies zwar nicht eben besonders angenehm, vor allem, weil hie und da kleine Pfützchen entstanden. Spätestens nach einer Woche kamen sie in den Stall in eine große Kiste oder wurden von uns als echt gut schmeckendes Fleisch verzehrt.
Wenn ein Kalb geboren worden war, blieb es bis zur Erreichung eines Gewichtes von ca 50 kg im Stall und wurde dann meistens an einen der vielen Fleischer verkauft, nur selten aufgezogen. Da kaufte man lieber eine noch junge Kuh, was auch bessere Milchleistung brachte.
Viele der (beim Winter) aufgezählten Tätigkeiten blieben auch im Frühling, ja während des ganzen Jahres bestehen.
In den Frühling fielen auch schöne Fest- und Feiertage, auf die man sich echt freuen konnte.
Es begann nach Ostern mit der Erstkommunion am Weißen Sonntag, mit dem Schmücken der Bildbuche, dem ersten Gang zur Kronstädter und zu Heinrichs Kapelle, mit den Bitt- und Fronleichnamsprozessionen und Himmelfahrt mit den Maiandachten am Abend eines jeden Tages in der Kirche bis hin zu Pfingsten, wo statt der Fichten die Kirche voller grüner Birken stand.
Und - man sah schon die zwei Monate Schulferien sich nahen, wo man echt froh war, diesen Ort, wo „die Verdammten ewig gepeinigt werden" (so die Antwort eines Schülers auf die Frage nach dem Fegefeuer!) nicht täglich aufsuchen zu müssen.
Die Menschen - auch wir - freuten uns inzwischen, wenn alles wuchs und gedieh!
Im Sommer
Pünktlich fast zum Beginn des Juli-Monats fingen alle, die des Mähens mit der Sense kundig und mächtig waren, also auch die Frauen, mit dem Mähen der Wiesen an, deren drei wir hatten. Da war in der Nähe des „Beldla"-Bäumchens die Lerch-Wiese, gute 400 m hinter dem Hause, dicht an der Stiebnitzer Straße die Wasel-Wiese und dort, wo der Hochwald begann, rechts des Hohlweges zur Bildbuche, die Stehr-Wiese. (Diese Namen waren nach den vormaligen Eigentümern übernommen worden.)
Ich freute mich riesig auf die zwei Ferienmonate Juli und August und all das, was sie so in unserem kleinbäuerlichen Dasein mit sich brachten, obwohl es eigentlich nichts besonders Herausragendes war, was die Tage so „schön" machte. Man lief barfuß den ganzen Tag und natürlich in den üblichen „Hochwasserhosen", tat auf Geheiß das, was eben jeder Tag so verlangte. Aber es war eine unbeschreibliche Freiheit, und man brauchte sich eigentlich niemandem unterzuordnen. So recht was für einen Widder-Jungen!
Nun hörte man täglich das Dengeln der Sensen, meist abends. Frühmorgens zeitig (oft bevor es zur Arbeit in die Fabrik ging) erklang das Wetzen der Sensen und oft schritten zwei Frauen und zwei Männer mähend einher, begleitet von einem fast den Verstand raubenden Schwarm winzig kleiner Mücken. Nichts half dagegen, auch nicht, wenn man sich mit Liebstöckel einrieb. Unterdessen zentrifugierte ich schon die angefallene Milch oder fing zu buttern an, solange wir noch Zentrifuge und Butterfass besaßen. Gute, im Bach gekühlte Buttermilch mit kleinen goldgelben Klümpchen darin und eine Schnitte frisch gebackenes Brot, trocken oder mit selbstgemachtem Quark waren die erste Labsal nach der schon stundenlangen Schinderei des Mähens. Je weniger Gras gewachsen war, umso schwerer ließ es sich „abschaben" - sprich mähen. War es bereits durch die Sonne etwas angewelkt, so rückten wir ihm mit unsern Rechen (Harken) zu leibe, streuten es möglichst gleichmäßig zum Trocknen auf den Rasen. Ein oder zweimal wurde das werdende Heu mit dem Rechen gewendet, alle immer schön hintereinander schreitend. Am späten Nachmittag wurden lange Reihen geharkt und aus dem halbtrockenen Schober gesetzt gegen das Feuchtwerden während der Nacht. Früh, wenn sich die Morgennebel gelichtet hatten, zerstreute man die Schober zu einer beachtlich großen Scheibe. Und wieder folgte das mehrmalige Wenden. War heißes Wetter, so konnte man für den Nachmittag schon mit dem Einfahren des Heus beginnen. Man achtete aber sehr auf völlige Trockenheit, damit es nicht zu Erhitzung oder gar einem Brand kommen konnte. Der Leiterwagen stand schon vom späten Frühjahr her bereit. Die Kühe wurden vorgespannt -und dann ging es auf die Wiese. Der Großvater und später auch ich reichten das Heu auf den Leiterwagen, wo Mama (sie konnte am besten ein Fuder laden) einen Armvoll nach dem andern auf den richtigen Platz legte und sich mühte, alles gleich festzudrücken und festzutreten. Zwei Kerben an einer langen Stange, dem sogenannten „Wiesenbaum" ermöglichten, die zulässige Höhe und Breite des Fuders zu kontrollieren, damit wir auch durchs Scheunentor passten. „De Mutter" rechte fleißig nach, denn kein Büschel Heu sollte verloren gehen. Zuletzt wurde der Wiesenbaum längs über das Fuder gelegt und vorn und hinten mit einem starken Seil fest auf das Heu gedrückt, sodass wir nun dem Hause zu fahren konnten. Nachdem wir die Kühe ausgespannt hatten, schoben wir das Fuder, kräftig anpackend, auf die Tenne. Von dort wurde das Heu abgeladen und bis in die äußersten Winkel des Daches verteilt, festgetreten usw. Wenn Mama dann ganz unter der Dachspitze stapelte, hieß es schon mal, dem Jungen Angst machend: "De Mama, de muß etz a ganza Wenter dat dua bleib 'n. Mr hoan ju keene Letter." Da war der Junge doch ziemlich betrübt und suchte schnell nach einer Leiter, schleppte sie heran und rettete die Mama, weil ohne die ja echt nichts ging.
So kam Wiese um Wiese dran, und Fuder um Fuder wurde eingefahren. Der beißende Staub des trockenen Heus wurde dann abends etwas mit kaltem Wasser und Kernseife abgewaschen denn „ei de Woanne" ging es ja nur am Sonnabend.
Froh waren wir wenn uns das Wetter zum Annafest (26. 7.) die Heuernte beenden ließ, denn fast nahtlos ging es mit der Getreideernte weiter, unterbrochen nur von dem Neudorfer Annafest, bei dem man nicht nur ein feierliches Hochamt mitzugestalten hatte, nein, man wurde auch von Tante Ida und ihrer Familie zum Festtagsessen eingeladen, und es hieß: „Doaß Ihr ja kemmt! Sonst senn mr ganz biese!"
Nun kam die Getreideernte dran. Die Sensen bekamen kleine Holzbügel, die das Zurückfallen des langen Getreides verhindern sollten. Zuerst begann das Mähen des Winterroggens. Getreide zu mähen war eine körperlich schwerere Arbeit, waren doch die Halme so hart und die Sensen rasch stumpf. Also mähten beide Männer, und die Frauen rafften hinter dem Mähenden die im Schwaden liegenden Halme ab, während ich unermüdlich aus Langstroh, das man mit aufs Feld gebracht hatte, oder aus Getreidehalmen dünne Bänder herstellte: Ein dünnes Büschel rechte Hand, eins linke Hand, dann über Kreuz und zusammenknoten. Da kam man ins Schwitzen. sollten zwei schnell abraffende Frauen bedient werden.
War das schmale Feld endlich leer, so wurden die Garben zusammengetragen und aus je sieben oder zwölf die man zusammenstellte, eine Hocke (auch Puppe genannt) aufgestellt. Nun sollte das Korn nachreifen und trocknen. Das Brechen einiger Körner über den Daumennagel war die Probe, ob es trocken genug zum Einfahren war. Und wieder hieß es, Fuder zu laden, den Wagen in die Scheune zu schieben und abzuladen, was nicht ganz so mühsam und schweißtreibend wie das Heuabladen war. Die Garben kamen in den Teil der Scheune, der heute nicht mehr steht, wo sie auch dicht bei dicht bis zum Dreschen gestapelt wurden. Fast zum Verzweifeln war es aber, wenn eine Regenperiode das Einfahren des Getreides unmöglich machte und es sogar so weit kam, dass es aus den Körnern der Garben zu sprossen und zu grünen anfing. Das Mehl fürs tägliche Brot und das des kommende Jahr nötige Saatgetreide waren in Gefahr. Da half nur beten, viel beten. Und meistens erbarmte sich der Herrgott doch der armen Kleinbauern, wie uns.
Sommerroggen, Gerste und das bisschen Weizen folgten dem Winterkorn auf gleichem Wege - wie schon erzählt. Bald sprosste die Klee-Untersaat, und so gab es dann etwas zu mähen, damit die Futterreserve (Heu) nicht zu früh angegriffen werden musste.
Manchmal nach der Heuernte, manchmal auch erst nach der Getreideernte machten sich Mama und Tata fast noch vor Tagesanbruch auf nach Spitzberg "Maria Schnee" zu wallfahrten, denn es gab zu danken, auch immer um Fürsprache zu bitten, besonders in den Kriegsjahren. Der lange, lange Fußmarsch, das war das Opfer, das sie brachten, denn für Materielles wie Geld reichte es nicht. Meist musste ich heulend zurückbleiben, weil scharf gegangen wurde und man mir solches scheinbar nicht zutraute. Ein kleines Andenken (einige gibt es noch), war dann die Mitbringe "fier a Joanga". 1944 schließlich entschlossen sie sich, mich mitzunehmen - mit der roten „Kraftpost" bis Habelschwerdt, dann mit einem anderen Bus bis Wölfelsdorf bzw. Wölfelsgrund, zuletzt aber den steilen Anstieg nehmend, denn eine richtige Anstrengung musste schließlich sein, sonst galt‘s nicht als Wallfahrt. Daheim kaum wieder angekommen, war das neue Schuljahr wieder herangekommen, aber es begann auch die Grummeternte und gleichzeitig die Aussaat des Winterroggens. (s .a. Frühjahrsbestellung und Heuernte). Bald gab es schon Reif auf den Wiesen, Und man fürchtete, dass der Herbst mit ersten Schneefällen überraschend kommen könne, wie es noch heute in Gebirgsgegenden oft der Fall ist. So wurde weiterhin jede Hand gebraucht, zumal wir ja besonders während der Kriegsjahre all das, was ich hier schilderte, auch noch auf den Wiesen und Feldern vom Onkel Heinrich tun mussten und auch gern taten, damit er sich nicht noch im Osten um seine Wirtschaft, seine Frau und die beiden Jungen sorgen musste. So war auch der Sommer eine Zeit unermüdlichen Arbeitens, und kein Mensch dachte an Urlaub, ans Verreisen oder sich erholen zu können. Nur ein paar wenige Sommerfrischler, von denen noch farbige Karten im alten Album zeugen, schauten manchmal den geplagten Leuten zu, schüttelten den Kopf darüber und entschwanden wieder in ihr sorgloseres Leben in Dresden, Berlin oder Breslau. Wir aber blieben und harrten der Dinge, die uns der Herbst und Winter bringen würden.
Im Herbst
Wie schon beim Sommerausklang erwähnt, wurde es bei uns daheim weit früher Herbst als in dem flachen Lande.
Unser Trachten richtete sich darauf, möglichst gut für den nahenden Winter gerüstet zu sein. Es gab also erneut viel zu tun, vor allem draußen.
Recht früh schon wurde der Brennholzvorrat in den Schuppen hinter die Schweinebaude getragen, da er vom Sommer her noch trocken war. Es wurde nur mit Holz geheizt weil dieses billig und Kohle teuer war, vor allem Steinkohle. Der Platz hinterm Haus, wo etliche Monate die Kegel (Holzmieten) standen, war nun leer.
Beizeiten machten wir uns an die Kartoffelernte heran, denn das Wühlen in nasser und kalter Erde, das war wahrlich kein Vergnügen. Die Kartoffelfurchen wurden aufgepflügt, dadurch so gelockert, dass man viele Erdäpfel nur einzusammeln brauchte, die andern aber gut mit der Hacke (eine solche ist noch in unserm Keller) „ausgraben" werden konnten. Zunächst wurden die Knollen- gleich in große und kleine sortiert - in Weidenrutenkörbe geworfen, danach eingesackt und die Säcke mit der „Radwer" (Schubkarre) zum Ackerwagen gebracht und aufgeladen. Vor dem Kellerloch im kleinen Garten (Giebelseite des Hauses) stand eine aus schmalen Brettern gefertigte Rutsche. Auf ihrer Schräge rollten die Kartoffeln aus den ausgeschütteten Säcken direkt in die vorher hergerichtete Kartoffelbaude im Keller und verloren auf der Rutsche noch abfallende Erde, die möglichst nicht mit in den Keller hinein sollte. Da die Tage immer kürzer und kälter wurden, freuten wir uns sehr, wenn wir unser kleines Feld in acht bis zehn Tagen abgeerntet hatten. Das Kartoffelkraut wurde in Haufen an den Feldrain gesetzt und der Acker noch einmal abgeeggt und gepflügt, denn keiner der so wertvollen Erdäpfel sollte unserer Ernährung verloren gehen.
Oft lag ein Feld mit Kleeuntersaat neben dem Kartoffelfeld, auf dem ich nachmittags, wenn es das Wetter zuließ, die Kühe und beide Ziegen grasen ließ. Als ich etwas größer und auch verständiger wurde, erlaubte man mir, ab und zu einen Kartoffelkrauthaufen abzubrennen und dabei ein paar Erdäpfel ins rasch ausgehende Feuer zu legen, die - weil es selten so etwas gab - wirklich gut schmeckten, gleich ob mit oder ohne Schale. Man spießte sie mit einem Stöckchen auf, damit sie etwas auskühlten. Erwachsene hielten sie auch in der hohlen Hand. Zuweilen geschah es, dass auf benachbarten Feldern auch Leute arbeiteten. Denen gefiel es aber gar nicht, wenn sie vom Rauch eingenebelt wurden, sodass sie nicht selten schimpften, was einen aber im Innern eher belustigte.
War das Kartoffelgraben zu Ende, so ging es auf dem Rübenacker (damals links vom Haus) daran, die schönen rotgelben Runkelrüben zu „entblatten" (mit einem Beil o.ä.). Sie, die wichtig für all unsere Tiere waren, kamen auch noch in den kleinen Keller. War schon mal eine Rübe etwas angefressen, so durfte ich sie völlig aushöhlen und ein kleines Kerzlein hineinstellen, um mich in der Dämmerung oder am frühen Abend an dieser so netten und billigen Laterne zu erfreuen. Auf dem Rübenacker, der von uns auch Krautacker genannt wurde, setzten wir alljährlich auch etliche Weißkohlpflanzen, die man extra aus Alt-Weistritz (bei Habelschwerdt) holen musste. Die waren nun auch als ansehnliche Krautköpfe ins Haus zu bringen. Mich schickte man ins Hegerhaus, wo wir uns jeden Herbst einen recht großen Krauthobel, ca. 1,5 m lang und etwa 40 cm breit, ausleihen durften. Dieser wurde über einen Holztrog gelegt, die vom Schmutzblatt befreiten Köpfe kamen in den Gleitkasten des Hobels, den man mit einer Hand über zwei schräg verlaufende Messer schob, während man mit der anderen Hand den Krautkopf auf die Messer drückte. Die gehobelte Masse kam dann in einen recht großen Steintopf (Bunzeltoop). Auf eine Schicht gehobelten Kohl kam jeweils eine entsprechende Menge Salz, dann wieder Kohl und Salz usw. Zwischendurch drückte mein Vater meist schon mit den Fäusten so kräftig auf die Masse, dass in nicht langer Zeit etwas Wasserähnliches im Topfe aufstieg. War der Topf voll oder das Kraut zu Ende, legte man einen alten Teller auf den Inhalt des Topfes und darauf noch einen möglichst schweren Stein, um den Druck nicht zu sehr zu vermindern. Ein weißes Tuch darüber - und es stellte sich bald der unverwechselbare Geruch werdenden Sauerkrautes ein, das später am Abend in der Dunkelstunde auf der Ofenbank in kleinen Portiönchen zu essen sehr angenehm war, aber auch in gekochtem Zustand eine meist nicht fehlende Beigabe zum Sonntagmittagessen darstellte.
Die unvermeidlichen Krautsuppen hingegen behagten mir gar nicht.
Da die Winterwinde von allen Seiten her unser Haus umtobten, wurden die Wände an der Vorder-und Giebelseite des Hauses mit Waldgras „versetzt“ .Das hieß, dass man kleine Pfähle in den Boden schlug und hinter meist alten Brettern das Waldgras fest hineinstopfte. Das wirkte fast wie eine zweite Wand. Und im Frühjahr, wenn alles weggenommen wurde, war sowieso das weißen der Wände unvermeidlich nötig.
Vom Boden holte man dann die auswechselbaren Doppelfenster herunter und passte sie in die Fensterrahmen ein. Zwischen das Außen- und Innenfenster legte man kleine längliche Säcke, die mit Hobelspänen gefüllt waren. Die sollten sich bildende Feuchtigkeit aufsaugen, um Schimmel und Fäulnis zu vermeiden. Trotzdem musste der Rahmen darunter ebenfalls im Frühling neu gestrichen werden, hatte sich doch manche Farbscholle gelöst.
Solange der Frost die Erde noch nicht steinhart frieren ließ, lud der Großvater Franz viele etwa zwei bis zweieinhalb Meter lange dünne Fichtenstämmchen, die nur oben noch ein paar entnadelte Ästchen hatten, auf die Radwer und fuhr damit am Weg zum Dorf entlang. In bestimmten, nach Schritten abgemessenen Abständen, steckte er unter erheblicher Anstrengung so ein dürres Bäumchen in den Boden. Meist reichten sie gerade so bis zur Dorfstraße. Bei Schnee, Nebel und Dunkelheit waren sie uns "Wegweiser", damit wir nicht etwa vom Wege ab und in den Bach gerieten, wenn wir ins Dorf oder heimwärts gingen. Während die Tage immer kürzer und die Nächte immer länger wurden, begann spätestens Anfang November das Dreschen. Die Garben wurden aufgebunden und auf der Scheunentenne ausgelegt. Alle aus der Familie, die irgendwie greifbar waren, reihten sich nun zum Flegeldreschen ein. Niemand durfte dem andern auf den Flegel schlagen, deshalb drosch man "im Takt", bei vier Dreschern ging es pumpum pät-za, bei dreien eben pumpun pum, bei zweien pumpum usw. Ein monotones dumpfes Schlagen, das man von vielen Tennen im Dorfe her hören konnte. Die Schütte auf der Tenne wurde noch einmal gewendet und wieder dreschend bearbeitet. Danach schlug man die Ähren noch über die Sprossen einer aufgestellten Holzleiter, band danach das Stroh zusammen und stapelte es wieder. Es wurde zum Einstreuen fürs Vieh im Stall gebraucht, wozu es als sogenanntes Langstroh vorher auf einem Hauklotz in Längen von 20 cm gehackt werden musste. Die auf der Tenne verbliebenen Körner wurden übergeharkt (wir sagten: abgerecht), also von Kurzstroh befreit. Danach fegte man die Körner zusammen und schüttete sie in die „Pleder" - sprich Windfeger.
In diesem fast rechteckigen Holzkasten bewegte man (sehr oft ich) ein hölzernes Flügelrad, das aus dem allmählich nachsickernden Getreide Strohreste zu einer rückwärtigen Öffnung hinauspustete und die Körner zusätzlich, da sie über verschiedene Siebe geschüttelt wurden, in größere wertvollere und geringere teilte, die zum .Schroten für Viehfutter bestimmt waren. Dieser Vorgang des „Plederns" vollzog sich immer dann, wenn schon eine gewisse Menge an Körnern ausgedroschen worden war, mindestens aber jeden Vor- und Nachmittag.
Hafer und Gerste wurden mit der Maschine gedroschen. Dabei gab es die Möglichkeit, über einen von Ochsen oder Pferden getriebenen Göpel (immer auf „Rundkurs") oder durch eine Dampflokomobile (bewegliche Dampfmaschine), über einen Benzin- oder Elektromotor die jeweilige in der Größe unterschiedliche Dreschmaschine anzutreiben. Wir, die wir nur arme Kleinbauern waren besaßen lediglich eine Maschine mit je einer Kurbel auf jeder Seite; die über etliche Zahnradübersetzungen die Dreschtrommel in die nötige Rotation brachte. Da der Großvater bald das schwere und schnelle Drehen nicht mehr schaffte kurbelte ich dann mit meinem Vater zusammen. Nach zwanzig Minuten oder einer halben Stunde sahen wir total verschwitzt, fast schwarz aus, als hätten wir uns im dicksten Staub gesielt, aber auch die Lungen waren so voller Staub, dass eine Pause nötig wurde, in der man die Körner wieder aus der Maschine nahm und das Stroh beseitigte. Glücklicherweise waren die Tage des Maschinedreschens wesentlich weniger als die des Flegeldreschens. Alle aber hatten das Ziel, bis zum Advent „ausgedroschen" zu haben, wie man so sagte.
Zwischendurch galt es aber auch noch andere wichtige Aufgaben zu erledigen.
So suchte sich Großmutter Theresia gebrannten Draht und Krepppapier zusammen und hieß mich, Kerzenreste zu schmelzen - in einer alten Schuhschmierdose aus Blech. Sie verstand es, schöne Blumen, vorwiegend Rosen herzustellen, die ich dann in das geschmolzene Stearin tauchen musste, nachdem ich ihnen noch einen Stiel aus Draht „angedreht" hatte.
Die beiden Männer holten ein paar Äste schönes Tannenreisig aus dem Wald und schon begann Theresia um einen zu einem Ring gebogenen Weidenstock Zweige herumzubinden, so dass alsbald ein Kranz entstand. In diesen grünen Tannenkranz wurden nun drei bis fünf der hergestellten Blumen gesteckt. Das sah sehr professionell aus. Zum Allerheiligen- und Allerseelentag wurden die Kränze auf die Gräber gelegt zum Gedenken an die Verwandtem deren Ruhestätten noch nicht eingeebnet worden waren. In unserem Falle schmückten wir die Gräber der Gottwald- Großeltern, meiner Patentante Anna, auch das Grab meiner Cousinen Elisabeth und Anna aus Schwarzwasser, schließlich auch das Kindergrab von Onkel Heinrichs zweitem Kind nahe der Friedhofsmauer. Traurig machte es uns alle, wenn über Nacht eine weiße Schneedecke all das zudeckte, was so mühevoll hergestellt worden war. An den beiden Tagen aber wimmelte es nur so von Menschen auf dem Friedhof, die kleine Lichtlein entzündeten und durch ihr Beten versuchten, sich gegenüber den Verstorbenen dankbar zu erweisen, indem sie Gott baten, ihnen das Gute zu lohnen und zu vergelten, was sie in ihrem Leben uns getan hatten. Saß man oben auf der Orgelempore zum abendlichen Gottesdienst, so war es wie das Lichtermeer einer Stadt anzusehen, was da zu unseren Füßen ruhte.
Manchmal verschwand der Schnee auch wieder, aber nur selten. Vom Tannengrün war noch so viel übrig und kühl gelagert, dass es noch für einen schönen und großen Adventskranz reichte, der dann zum Advent an roten Bändern mit vier roten Kerzen versehen an der Stubendecke über dem Flügel hing und Symbol des Wartens auf das Christkind war.
Leider, ich muss das so betonen, kamen sobald ausgedroschen war, die Utensilien für die Spanschachtelherstellung in die Stube. So nötig jeder Heller zum Lebenserwerb gebraucht wurde, so sehr störte mich das „Schachteln" von früh bis spät abends während dieser dunklen Zeit. In diese Arbeit war ich - soweit dazu schon brauchbar - auch täglich eingebunden. In der Zeit etwa zwischen 16.30 und 18.00 Uhr wurde Dunkelstunde gehalten, um Petroleum zu sparen. Tata kam kurz nach 17.00 Uhr aus der Fabrik heim, und nachdem er "einen Bissen" gegessen hatte, setzte er sich an den Flügel und spielte - natürlich auswendig – „Tauet Himmel, den Gerechten, Wolken regnet ihn herab" oder „O komm, o komm, Emmanuel". Halblautes gemeinsames Beten, auf der Ofenbank sitzen, dabei den Rücken wärmen und ein wenig Sauerkraut kauen, wechselten einander ab.
Mir war das damals noch weitgehend wenig bekannte Lied , Leise rieselt der Schnee" am liebsten, das ich, selbst singend bald auf der Orgel spielte: "Freue dich, s' Christkind kommt bald“!
Etwa zwischen sechs und sieben Uhr abends wurde „dr Stoal gemacht". das heißt: Das Vieh versorgt. Nach dem recht bescheidenen Zu-Abend-Essen ging es wieder weiter mit dem Schachteln bis es nach Neun Zeit zum Schlafengehen war.
Jeden Morgen ging jemand durch die schneereiche Finsternis zur Roratemesse, vor allem ich, der ich noch zu den Ministranten gehörte. Es war wirklich so, wie es bei Waggerl nachzulesen ist. Der Besuch der Roratemesse - es war ein Opfer für alle, die da kamen.
Daheim redete man jetzt schon ab und zu davon, wer das Schwein schlachten soll, wann der Kleiner- Fleischer Zeit haben wird, was man noch dazu einkaufen muss, z.B. Graupen für die Wurst usw. Alles wurde langfristig bedacht und beredet, auch das nochmalige Brotbacken vor dem Christabend und das Kuchenbacken und Herstellen der Striezel im hauseigenen Backofen. Zweie gingen nach wie vor täglich aus dem Hause: Tata, mir Bahn tretend, in die Fabrik - und ich hinter ihm her zur Schule.
Am Tag des Winteranfangs endlich verschwanden die Schachtelsachen, um sich all dem zu widmen, was eben noch vorm Christabend getan werden musste. Darüber freute ich mich immer sehr. Gab es um diesen Tag schon hart gefrorenen Schnee, entzündeten „Jungnationale" Scheiterhaufen an Berghängen oder ließen brennende Räder talwärts rollen. Dazu musste geblasen oder gesungen werden „Flamme empor" oder andere „neuheilige" Lieder. Überzeugte Christen sahen dies Treiben als heidnischen Kult an und blieben fern. Die Mehrheit aber war begeistert darüber.
Schließlich musste Tata noch in den Wald, bewaffnet mit der kleinen Handsäge und einem ebenfalls kleinen Beil. Heimlich, erst bei Dunkelheit, brachte er etwas Längliches, Zusammengeschnürtes heim und versteckte es in der Scheune: Unsern immer schönen Christbaum, der dann auf dem Flügel stehen durfte. (Erst später musste man die Bäumchen vom Heger holen.) Es gab auch noch einen Tag, der aus den übrigen herausragte: Der Nikolaustag, an dem uns unser Lehrer mit allerhand schönen kleinen Gaben beschenkte und einen Wandertag mit uns machte. Als ich noch recht klein war, kam auch einmal ein richtiger Bischof Nikolaus mit dem Krampus zu uns. Letzterer aber machte an mir keine „Anwendungen", wofür ich dann das schöne Gedicht "Von drauß' vom Walde komm ich her" andächtig aufsagte.
An den Sonntagnachmittagen wurde im Pfarrhof für die musikalische Gestaltung der Weihnachtstage geprobt. Im Tasler-Gasthaus „Zum Felsenkeller" führten wir Schulkinder alljährlich ein Theaterstück auf, das gern und gut besucht wurde. Danach waren Weihnachtsferien. Und so ging der Herbst fast unbemerkt in die bei uns ja schon längst bestehende Winterzeit mit all ihren zu überstehenden Beschwernissen über. So war's halt – unser, mein Leben im Gebirge. Trotzdem verklärte auch in diesem Falle die Zeit so manch Schweres, und heute kann man gelassen darüber erzählen oder gar schreiben. Nur eine Handvoll Leute, die das alles noch so oder weit beschwerlicher in den ehemals heimatlichen Bergen weiter erleben dürfen -wohl eher müssen.
Im Winter
Das Jahr begann mit Tagen an denen geruht wurde – bis einschl. Dreikönigstag. In der Holzfabrik aber wurde sofort nach Neujahr, auch samstags, gearbeitet. Daß die Versorgung des Viehs ganzjährig erfolgte, war selbstverständlich, also hatte der, der Vieh hielt auch niemals Ferien oder Urlaub, auch nicht an Sonn- oder Feiertagen.
Nach dem 6. Jänner aber wurde (zu meinem Leidwesen) wieder das Schachtelzeug in die Stube geräumt, es wurden dicke „Schleißen“ für Deckel und Böden im Hausflur gehobelt und ebenso Späne für die Außenwände der Schachteln. Die Zwängen (mindestens 2) wurden aufgestellt, das Hauklotz links neben der Tür postiert, und dann schlug man mit verschieden großen Eisen die Scheiben für Bottich und Deckel der Schachteln, trennte die Späne entspr. der benötigten Breite, und die Länge wurde mit dem Spanschneider zurechtgeschnitten. Mit Quark- Kaltleim wurden die Späne auf runde „Kerne“ gezogen, zusammengeleimt und dann zwischen die verstellbaren starken Bretter der Zwänge gedrückt, wo sie wenigstens einen Tag zu trocknen hatten. Danach wurden mit Stampfern (Holzstücke mit unten eingeschlagenem größerem Nagel) die mit Leim bestrichenen dicken Deckel- und Bodenscheiben in die aus der Zwänge genommenen „Hülsen“ gestampft. Nach dem Trocknen steckte (meist ich) man dann Bottiche und Deckel zur Schachtel zusammen, sackte diese in abgezählter Menge in Säcke und stellte alles im Holzschuppen zum Verkaufen auf. War eine bestimmte Menge „erzeugt“, brachten Mama und Tata die Schachteln meist in der Dämmerung oder Dunkelheit über die Erlitz, da es dort bei den Aufkäufern mehr Geld gab als in Kronstadt. Erwischen lassen aber (von den Grenzbeamten) war insofern ungut, als dass es dann doch zur Wegnahme der Einkünfte kam, weswegen mein Vater meist das Haupt- Papiergeld zwischen Fußsohle und Socken versteckte.
Daß es in der Stube bei diesem Tun nicht so aussah, dass man sich wohlfühlen konnte und eine permanente Unordnung herrschte, verdroß mich immer mehr, je älter ich wurde.
Bis zu Onkel Heinrichs Hochzeit kam noch sein gelegentliches Tischlern hinzu, das unsere Bewegungsfreiheiten noch mehr einschränkte. Alles aber war notwendig, und das mußte man einsehen, obwohl tagsüber auch noch meist sechs Leute „rumwuselten“.
An manchen Abenden mußte das Hauklotz auch mal den Schustersachen weichen, damit uns Tata unsre vom Winter arg strapazierten Schuhe und Stiefeln reparieren konnte, ohne neue kaufen zu müssen.
Dieser Zustand hielt je nach Schneelage oft bis in den März an.
Hatte es etwas getaut und gleich danach strengen Frost gegeben, so trug die Schneedecke stark, sodaß wir es auch manchmal wagen konnten, den Dungwagen statt der Räder Kufen unterzuschieben, ein nicht zu großes (weil sonst zu schweres) Fuder dampfenden Mistes zu laden und dieses mit den beiden Zugkühen an entlegene, nur schwer zugängliche Stellen des Feldes zu fahren, die ja auch mal gedüngt werden mussten.
Die Asche von dem vielen täglich verbrannten Holz wurde in alte Teerfässer geschüttet, zusammengedrückt, und im Frühjahr konnte sie dann gleichsam als Dünger besonders auf die Wiesen gestreut werden, wo man dann (noch heute unerklärlich) Klee wachsen sah, also ein gutes Futter.
Ein- bis zweimal je Woche musste das auf dem Oberboden flach aufgeschüttete Brot- und Saatgetreide (Roggen, Hafer, Gerste, ganz wenig Weizen) vorsichtig umgeschaufelt werden, wobei uns oft die Hinterlassenschaften unserer sonst lieben Katze sehr ärgerten. Wir mussten sie aber hinauflassen, um der Mäuseplage zu begegnen.
Wenn das Mehl aus unserm Getreide zu Ende ging, hieß es, einen kleinen Sack mit Roggen zu füllen und ihn nach Schwarzwasser (Kuffner-Mühle) oder Kronstadt (Roth-Müller) zu tragen und dafür Mehl für unser tägliches Brot zu holen. Während des Krieges war leider eine Mahlkarte nötig, die nur wenig Getreide zur Vermahlung erlaubte, sodaß wir sogar zusätzlich mit der alten Kaffeemühle zu schroten begannen und die grobkörnige Masse dem anderen Mehl beimischten. So gelang es der Oma Theresia doch noch bis zu unserer Aussiedelung gute runde Brote mit Kümmel und dunkelbrauner Kruste zu backen, was auch vom sogen. Einteigen in einem runden Backkübel aus Holz bis zum fertigen Brot zweier Tage bedurfte. (Der Brotteig wurde mit einem anderthalb Meter langen kräftigen Knetscheit nach Hinzufügung des Sauerteiges durch Rundumgehen um den Backtrog geknetet und wenn er "gegangen" war, portioniert in runde, selbst geflochtene Strohschüsseln gegeben, aus denen ganz früher Kinder zu Weihnachten auch beschert worden waren.
Zu den wiederkehrenden Arbeiten im Winter gehörte auch das Vergraben des Inhalts des gewissen Tönnleins des Plumpsklo's im Misthaufen und das Hinaustragen der Jauche, die sich von vier Kühen und zwei Ziegen unter den Stalldielen (ca. 15 cm starke Holzbohlen) sammelte, für die sonst kein Abfluß da war - eine Jauchegrube fehlte noch. Die Jauche trug man in Eimern auf den Misthaufen der (auch sehr zu meinem Leidwesen) just vor der Haustür einmal angelegt worden war, weil hinters Haus während des Winters und dem vielen Schnee nicht hinauszukommen war.
Die täglich zu leistenden Arbeiten erforderten auch alle nicht geringe Zeit. Das Herunterholen der nötigen Heumenge für das Vieh, das Kurzhacken von Stroh zum Einstreuen des Stalles, das wenigstens alle zwei Tage nötige Ausmisten und Hinaustragen des Mistes (vors Haus), das Kochen des flüssig-breiigen Futters fürs Vieh "auf der Kochmaschine", das „Schnitzeln“ von Rüben mittels einer Rübenschnitzelmaschine, das dreimalige Melken, das Befüllen der Milchkannen (10 bis 20 Liter fassend, das Zentrifugieren von etwas Milch auf eigener Zentrifuge, das Buttern mit dem von Onkel Heinrich konstruierten und später konfiszierten Butterfaß, das Formen der Butter in Model'n, schön geschnitzt, das Quetschen des fürs Essen und für Leim nötigen Quarkes, die Fertigung von Kochkäse usw. Nicht vergessen werden durfte, immer wieder Holz aus dem Schuppen hereinzutragen, die Petroleumlampen zu befüllen (so lange der Vorrat reichte), Wäsche zu kochen und unter Aufbietung von viel Kraft sie im Holztrog auf dem Waschbrett zu rubbeln, meist in kaltem Wasser zu spülen, - trotz der blutigen Knöchel an Mamas Händen - und sie nach heftigem Auswringen auf den Strohboden zu trocknen versuchen. Auch das Bügeln war mühsam, musste doch das Eisen so lange auf der fast glühendroten Herdplatte stehen, bis es genug heiß war, um ein Weilchen damit bügeln zu können. Das Bügeln geschah auf dem weiß gescheuerten Tisch, einer Decke und einem Bettlaken als Unterlage. Dabei lernte auch ich so manche dieser Tätigkeiten nicht nur kennen, man tat sie auch mehr oder weniger gern auf Geheiß. Nicht selten galt es auch, Kleidungsstücke, Unterwäsche u.a.m. zu flicken, eine nicht nur langwierige sondern auch äußerst schwierige Tätigkeit, zumal kaum Flickmaterial vorhanden war.
Da wir ja auch ein Schaf hatten und etwas Flachs anbauten, wurde von beiden Frauen auch noch Zeit zum Spinnen gefunden. Herrliche Dinge aus weißester Wolle konnte ich bevor sie in Dolny Lipka weggenommen wurden, mein eigen nennen. Den gesponnenen Flachs brachten wir, wenn kein Schnee mehr lag, zu den zahlreichen Webern, die es in Stiebnitz gab. Die Leinwand wurde dann gewaschen, auf einem sauberen Rasenstückchen unter wiederholtem Begießen mit klarem Wasser zum Bleichen gelegt, ehe etwas daraus genäht werden konnte.
Noch heute staunt man oft in stillen Augenblicken, wie viel Arbeit die Eltern und Großeltern an einem Tag verrichten vermochten, am meisten die beiden Frauen, die ja schon um halb fünf oder fünf aufstanden um den „Stall zu machen" und nachher für die andere Arbeit frei zu sein.
War das Stroh in den Strohsäcken die uns als Matratzen dienten, fast brettartig durchgelegen, mussten wenigstens alle zwei Monate diese Strohsäcke neu befüllt werden wonach man wie auf Federn ruhte, aber nicht lange..
Trotzdem reichte die Zeit auch noch, Sonn- und Feiertage zu begehen und die Kreuzweg- andachten zu besuchen, nicht alle Personen, aber immer eins von uns.
Ganz allmählich entstanden dort, wo eine Quelle war, schneelose und grün werdende Flecken. Dann sangen wir in unsrer Mundart gerne: „Dr Schnie tut zergiehn oan die Schniegläcklan bliehn oan de Wiesa warn aper oan de Feldr warn grien. Etz kemmt de schiene, schiene Friehjahrszeit! "
Mit ihr stand viel neue und andere Arbeit bevor. Aber das Kommen der schneelosen und wieder wärmeren Zeit war wie eine Erlösung aus Nacht und Dunkelheit. Vielleicht lag auch deshalb das Fest der Erlösung, Ostern eben, früher oder später am Frühlingsbeginn.
Mehr noch als in Goethes „Osterspaziergang" sandte der Winter aus den Bergen noch Schnee und Eis (wie am 4.3.1945 bei Großvaters Grabgeleit) bis in den Mai hinein, wo dann endlich der letzte Schnee „im Farnloch" oberhalb des Hegehauses dahinschmolz.